Vipassana Erfahrungsbericht: 10 Tage in Meditation & Schweigen
Lust auf eine neue Challenge? Los geht’s: Wer kann am längsten im Schneidersitz sitzen? So oder so ähnlich könnte die Werbung für ein 10-Tage-Vipassana-Retreat lauten. Dabei geht es natürlich um viel mehr, als nur darum jeden Tag mehr als 10 Stunden zu meditieren. Vipassana ist ein Abenteuer, das dich in den Moment und auf den Weg nach innen führt.
Ein Vipassana-Kurs ist das buddhistische Pendant zum Schweigen im Kloster, wie es auch schon seit Jahrhunderten in der christlichen Tradition durchgeführt wird. In 10 Tagen ohne Smartphone, Bücher, Körperkontakt und Sprechen kannst du lernen „die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind“.
Ich habe mich im Zentrum Dhamma Java in Indonesien auf die Erfahrung Vipassana eingelassen und 10 Tage versucht, meinen Gleichmut zu finden. In meinem Erfahrungsbericht erfährst du alles von den Regeln bis zur Unterkunft sowie meinen persönlichen Eindrücken von dem Schweige-Retreat.
Regeln & Zeitplan: Der typische Tagesablauf für einen Vipassana Kurs
Eins möchte ich zum Beginn meines Erfahrungsberichts direkt klarstellen: Ein Vipassana Kurs ist kein Urlaub! Die Suche nach Entspannung und Freizeitspaß sind daher keine guten Gründe, um dich auf den Weg in ein Meditationszentrum zu machen.
Tatsächlich erfordert das Erlebnis Vipassana viel Selbstdisziplin und bringt dich an die Grenzen deines Durchhaltevermögens. Ein Grund dafür sind die strengen Regeln und der klar geregelte Tagesablauf – für Schlaf und Erholung bleibt da nicht viel Zeit.
Schweigen & Co: Die 5 plus 3 Regeln für Vipassana Teilnehmer
Die Dhamma-Organisation hat fünf Regeln festgelegt, an die sich alle Kursteilnehmer halten müssen:
- Kein Lebewesen töten (auch keine Mücken oder Spinnen)
- Nicht stehlen
- Keine sexuellen Aktivitäten während der Kursdauer
- Nicht lügen
- Keine Rauschmittel einnehmen (dazu zählen auch Alkohol und Zigaretten)
Hast du zudem bereits einmal einen 10-Tage-Kurs belegt, giltst du als „alter Schüler“ und musst zusätzlich folgende drei Vorschriften beachten:
- Nach 12 Uhr mittags nichts mehr essen
- Verzicht auf alle sinnlichen Vergnügen sowie Körperschmuck
- Schlafen in nicht zu weichem oder luxuriösem Bett
Das Schweigen gehört zwar nicht zu den acht wichtigsten Vorschriften, dafür steht der gesamte Kurs unter dem Motto der „Noble Silence“ (auf Deutsch: Edle Stille). Das bedeutet, dass dir jegliche Art der Kommunikation (inklusive Blickkontakt, Gesten, Zeichen oder Notizen) mit den anderen Meditierenden untersagt ist.
Auch dein Handy, Bücher, Zeitschriften und Journals werden zu Beginn des Kurses eingezogen und sicher in einem Schließfach verwahrt. Auch andere Meditationspraktiken, Yoga oder Sport sind während des Seminars untersagt.
Zudem kannst du das Gelände des Zentrums nicht verlassen, es sei denn du beendest den Kurs frühzeitig. Weitere Informationen zu Kleidung & Co findest du auf der Dhamma-Website.
Ein Vipassana-Tag: Gleichmut durch Regelmäßigkeit
In einem Vipassana Meditationszentrum läuft jeder Tag gleich ab. Das klingt vielleicht erstmal langweilig, ist aber sehr sinnvoll. Zum einen hilft dir der gleichmäßige Rhythmus dich auf die Meditation zu konzentrieren und die Technik besser zu lernen.
Ich hab aber auch festgestellt, dass mich die Routine dabei unterstützt hat, die vielen inneren Veränderungen sowie die aufkommenden Probleme und Gedanken besser zu verarbeiten. So sieht ein Vipassana Tag üblicherweise aus:
- 04:00 Uhr Morgengong (und nein, den kann man nicht überhören…)
- 04:30 bis 06:30 Uhr Erste Meditation des Tages
- 06:30 bis 08:00 Uhr Frühstück & Pause
- 08:00 bis 09:00 Uhr Meditation in Gruppe in der Meditationshalle
- 09:00 bis 11:00 Uhr Meditation in deinem Zimmer oder der Halle
- 11:00 bis 13:00 Uhr Mittagessen, Pause & Sprechstunde beim Lehrer
- 13:00 bis 14:30 Uhr Meditation in deinem Zimmer oder der Halle
- 14:30 bis 15:30 Uhr Gruppenmeditation in der Halle
- 15:30 bis 17:00 Uhr Meditation in deinem Zimmer oder der Halle
- 17:00 bis 18:00 Uhr Tee & Pause
- 18:00 bis 19:00 Uhr Gruppenmeditation in der Halle
- 19:00 bis 20:15 Uhr Video-Vortrag von S. N. Goenka
- 20:15 bis 21:00 Uhr Gruppenmeditation in der Halle
- 21:00 bis 21:30 Uhr Sprechstunde beim Lehrer
- 21:30 Uhr Endlich schlafen!
Du siehst also: Vipassana bedeutet rund elf Stunden Meditation pro Tag und jede Minute deines Tages ist restlos verplant. Ich habe weder die Ablenkung durch mein Handy noch Musik, lesen oder schreiben auch nur eine Sekunde lang vermisst – ich hätte gar keine Zeit gehabt, mich damit zu beschäftigen.
10 Tage Vipassana Kurs: Eine Erfahrung mit Herausforderungen & Einsichten
Ich habe bislang (nur) einen 10-Tage-Kurs im Zentrum Dhamma Java in Bogor bei Jakarta in Indonesien absolviert. Müsste ich meine Erfahrungen in einem Satz zusammenfassen, würde ich sagen:
Der Vipassana Kurs war bisher die größte Herausforderung meines Lebens und gleichzeitig eines der besten Dinge, die ich jemals gemacht habe.
Da jede oben genannte Regel auch für den Standort in Indonesien gilt, konnte ich leider kein Tagebuch führen. Aber im Nachhinein, da der Kurs sich für mich in verschiedenen Phasen abspielte.
Tag 1: Ankunft & Abschied von der Außenwelt
Ich traf am ersten Tag gegen 15:00 Uhr im Dhamma Java ein, einer unscheinbaren Anlage in den Bergen außerhalb der indonesischen Stadt Bogor. Ein bisschen Dschungel, frische Luft, eine saubere Anlage (vor allem für indonesische Verhältnisse) – mein erster Eindruck war: Hier kann man es aushalten.
Nach dem Ankommen habe ich mich an der Anmeldung registriert und ein Zimmer sowie einen Platz in der Meditationshalle zugewiesen bekommen. Der Schweige-Bann gilt erst ab dem Abend des ersten Tages, sodass du vor dem Vipassana Retreat noch die Möglichkeit hast, dich mit den Kurshelfern und den anderen Teilnehmern auszutauschen.
Außerdem konnte ich mir einen Platz im Speisesaal aussuchen. Dazu gab es ein Platzset aus einem Tablett, Becher, einer Schale und einem Tuch, die für den gesamten Kurs genutzt werden. Überall sah ich gespannte Gesichter, während wir uns darüber unterhielten, wie wir auf die verrückte Idee Vipassana Meditation gekommen sind.
Obacht bei der Platzwahl! Die Mahlzeiten zwischen den Meditationen werden in den nächsten Tagen ein wichtiger Ankerpunkt für deinen Alltag sein, also suche dir eine angenehme Location aus.
Nach einem gemeinsamen Abendessen meditierten wir das erste Mal gemeinsam und der Schweige-Bann für die nächsten 10 Tage wurde in Kraft gesetzt. Das Essen war übrigens vegan und einfach großartig. Leckere indonesische Küche mit Gemüse und Reis in allen Variationen… Ich träume heute noch davon!
Tag 2 bis 4: Kopfkino & Zweifel ahoi!
Am zweiten Tag ging es dann zum ersten Mal morgens um 04:00 Uhr mit dem Morgengong aus dem Bett. Zuerst war ich skeptisch, ob der Gong wirklich als Wecker dienen kann. Aber glaub mir, er kann. Also schloss ich mich müde aber (noch) motiviert der ersten Morgenmeditation an. Gemäß dem festgelegten Tagesablauf ging es dann weiter zum Frühstück und zur nächsten Meditation…
Ganz ehrlich? In den ersten vier Tagen schwor ich mir jeden Abend, am nächsten Tag nach der Morgenmeditation den Kurs zu verlassen. Ich hatte überall im Körper Schmerzen, ich konnte nicht gut schlafen und in der Stille um mich herum wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie laut Denken eigentlich sein kann.
Achtsamkeit? Von wegen! In der Meditationspraxis sollten wir uns allein auf unseren Atem und die Empfindungen im Bereich zwischen Lippe und Nase konzentrieren. Währenddessen spielten die Gedanken in meinem Kopf fröhlich Gummistiefelweitwerfen – und das gleich in drei Sprachen (Deutsch, Englisch und Spanisch).
Aber hatte ich eine Meditation überstanden, kam ja schon die nächste Pause. Hatte ich einen Tag überstanden, wollte ich mir noch den nächsten anschauen. So hielt ich mich Step-by-step selbst über Wasser, bis wir am vierten Tag endlich die eigentliche Vipassana Meditationstechnik erlernten.
Tag 5 bis 9: Ruhe im Geist & erste Erkenntnisse
Am fünften Tag meines Kurses änderte sich für mich alles. Nach vier Tagen zwischen Rückenschmerzen in jeder Sitzposition und Kopfkino-Folter war auf einmal… Ruhe! Nichts tat mehr weh, das „Monkey Mind“ hisste die weiße Fahne und mir wurde endlich klar, warum es sich lohnt, einen Vipassana Kurs zu belegen.
Die nächsten vier Tage verbrachte ich in einer Klarheit, einem inneren Frieden und einer sanften Glückseligkeit, wie ich sie nach dem Retreat nie wieder erlebt habe. Vor dem Kurs hatte mir eine Freundin dazu geraten, auf jeden Fall bis zum vierten Tag zu warten – für diesen Hinweis war ich ihr nun mehr als dankbar.
Zwischen dem Morgengong, Spaziergängen im Garten, den Mahlzeiten und Gruppenmeditationen hatte ich nun endlich meinen Rhythmus gefunden. Als Tag 10 dann vor der Tür stand, kam es mir vor, als wäre schon ein Jahr vergangen – oder war es doch nur ein Fingerschnippen?
Tag 10: Muss ich wieder reden?
Vor meinem Vipassana Kurs hatte ich angenommen, dass ich am letzten Tag im Glück schwelgen würde, wenn der Schweige-Bann aufgehoben wird. Tatsächlich aber waren alle Teilnehmer zunächst skeptisch, gingen vorsichtig aufeinander zu und es dauerte eine Weile, bis das erste Gespräch begann.
Ich hatte das Gefühl, dass das erste Wort die wundervoll sanfte Bubble, in der ich mich in den letzten Tagen eingelebt hatte, zum Platzen bringen würde. Doch schließlich konnte ich mich überwinden und genoss es, mich mit den anderen Kursteilnehmern auszutauschen und zu erfahren, wie es ihnen während der letzten zehn Tage ergangen war.
Nach einem letzten Abendessen meditierten wir am Abreisetag noch einmal morgens und reinigten gemeinsam die gesamte Anlage für die nächste Gruppe. Da die Vipassana Kurse der Dhamma-Organisation auf Spendenbasis finanziert werden, hast du kurz vor der Abreise die Möglichkeit, einen Beitrag deiner Wahl zu den Kosten zu leisten.
Schließlich war es so weit und nach 10 Tagen zwischen Schmerz und Liebe sowie einem tiefgreifenden inneren Prozess ging es im Lastwagen-Taxi zurück in die „zivilisierte Welt“.
Nach dem Aufenthalt: Trotz Comeback der Realität auf Wolke 7
Nach den intensiven Vipassana-Tagen schwebte ich zunächst ein paar Wochen lang auf Wolke 7. Nichts und niemand konnte meinen inneren Frieden stören und die Gedanken hatten noch eine Weile lang Urlaub.
Mit der Zeit verflüchtigte sich der Effekt zwar etwas, aber eine Veränderung hat trotzdem stattgefunden – nicht zuletzt, weil ich weiterhin Vipassana Meditation praktiziere. Im Kurs wird jedem Schüler empfohlen, nach der Zeit im Vipassana Zentrum jeden Tag zwei Stunden (eine morgens, eine abends) zu meditieren.
Ich kann das leider in meinem Alltag nicht immer umsetzen, meditiere jedoch trotzdem jeden Morgen für eine Stunde bzw. mindestens 30 Minuten – und plane bereits den nächsten 10-Tage-Kurs! Diesmal geht es für mich entweder ins Dhamma Neru bei Barcelona oder in das Vipassana Zentrum Triebel in Deutschland.
Mein Fazit: Es gibt ein Leben vor und nach meiner Vipassana Erfahrung
Die Erfahrung 10 Tage in Stille mit mir selbst zu verbringen, war im Rückblick eine der besten Entscheidungen in meinem Leben – auch wenn es sich während des Kurses nicht immer so anfühlte.
Geblieben sind mir tiefgreifende Erkenntnisse über mich selbst, eine Klarheit in meinen Gedanken und ein Gefühl für meinen Körper, die ich vor dem Retreat nicht hatte.
Trotzdem muss ich zugeben: Vipassana ist nicht zwingend der richtige Weg oder die passende Meditation für alle Menschen. Bevor du dich für die Teilnahme an einem der Kurse entscheidest, solltest du dir darüber klar sein, dass die Regeln und der Tagesablauf ein echtes „Commitment“ und eine große Portion Disziplin von dir verlangen.
Stelle dir deswegen unbedingt die Frage: Bin ich wirklich bereit dazu, 10 Tage ohne Handy und zwischenmenschlichen Kontakt zu verbringen? Falls ja, habe ich zum Abschluss noch ein paar Tipps für dich, wie du dich auf deinen Vipassana-Kurs vorbereiten kannst:
- Je weniger Erwartungen du an dich, deine Entwicklung und den Kurs hast, desto offener bist du für die Erfahrung, die auf dich wartet.
- Eine regelmäßige Meditationspraxis oder körperliche Fitness sind für einen Vipassana Kurs nicht nötig – auch Anfänger sind willkommen!
- Es kann sich jedoch lohnen, für die langen Sitzungen „sitzen zu üben“ – selbstverständlich im Schneidersitz und mit geradem Rücken.
- Bequeme Kleidung ist während der langen Sitzungen ein Muss! Bequeme Hosen und Shirts gehören deswegen unbedingt auf deine Packliste.
- Ein Vipassana Kurs ist nicht nur „love and light“, auch negative Erfahrungen und emotionale Breakdowns können dazu gehören. Doch je besser du darauf vorbereitet bist, umso einfacher wird es.
Gehört meditieren auch schon zu deinen liebsten Hobbys oder hast du sogar schon einmal einen Vipassana Kurs belegt? Wir sind neugierig auf deine Erfahrungen, erzähle uns mehr in den Kommentaren!
2 Kommentare
Hallo Adine.
Danke für deinen Blog. Nehm mir deine Impulse gerne mit. Ich starte übermorgen, ich machs in der Toskana in Italien. Ich freu mich mega darauf, auf alles was kommt, die Widerstände, die Schmerzen und auch die Ruhe in meinen Gedanken, Wird sicher eine grosse Herausforderung. Lieben Gruss aus Südtirol
vera -
Danke liebe Vera!
ich wünsche dir das Beste und auch viel Spaß auf deine Reise.
Liebe Grüße
Adine von Team PlanetBackpack
Team Planet Backpack -